Sonntag, 3. Januar 2010
Ich habe ja schon häufiger meine Meinung zum Ausdruck gebracht, dass ich mit den Heroen des jamaikanischen Dancehalls nur wenig anfangen kann. Mal abgesehen von den leider immer noch vorkommenden homophoben Entgleisugen mancher Interpreten vermag es Dancehall in letzter Zeit auch musikalisch immer weniger, mich zu entzücken. Schuld daran ist neben den häufig irrelevanten Texten auch eine gewisse Monotonie in der melodischen Umsetzung - für mich klingen die Sachen immer ähnlicher und gleicher. Ein Grund dafür mag sein, dass die Stars in der Vergangenheit ihre Alben teilweise im Wochenrhythmus rausgefeuert haben (wikipedia führt für Sizzla in dem Zeitraum von 2001 - 2008 insgesamt 38 (!) neue Alben auf) und daneben noch auf zahlreichen Riddim-Compilations ihre Gesangsspuren hinterlassen. Da bleibt für innovative neue Sachen nur wenig Zeit und Spielraum.

Sicher mag es in Jamaika auch interessante neue Bands und Interpreten geben - die Omnipräsenz der sogenannten Stars in der europäischen Dancehallszene macht es diesen neuen Hoffnungen aber schwer, ihre Musik einem breiteren Publikum vorstellen zu können. Verstärkt werden diese Schwierigkeiten natürlich auch durch die vielerorts verbreitete Stigmatisierung des Dancehalls in homophobe, sexistische und gewaltverherrlichende Jungmännermusik - was viele (mich eingeschlossen) daran hindert, sich mit jamaikanischem Dancehall jenseits von Beenie Man, Elephant Man oder Capleton mal näher zu beschäftigen.

Doch ab und zu gelingt es dann doch mal einem nicht sonderlich bekannten Interpreten, in die Phalanx der Großen einzubrechen und einem breiteren Publikum eine eigene, vom jamaikanischen Mainstream abweichende Interpretation des Reggae/Dancehalls aus Jamaika zu präsentieren.

Dabei sind es zur Zeit am ehesten Frauen, die eine mögliche neue Zukunft des Dancehall zu zeichnen in der Lage sind. Wie z.B. Queen Ifrica, deren letzte CD "Montegro Bay" das von mir geschätzte "House of Reggae"-Blog als das Album des Jahres 2009 bezeichnete; oder Terry Lynn, deren CD "Kingstonlogic 2.0 zwar schon 2008 erschienen ist, aber erst in diesem Jahr aufgrund einer Tour durch Deutschland hierzulande etwas häufiger beachtet wurde. Beide räumen gründlich mit dem vorherrschenden Frauenbild in der jamaikanischen Musik auf und erkämpfen ihren Platz jenseits von engelhaftem Backgroundchor und arschwackelnde Zierde in Musikvideos....

An mir sind die Platten beider Interpretinnen völlig spurlos vorbeigegangen - erst vor wenigen Tagen bin ich zufällig auf Terry Lynn gestoßen ((obwohl doch der von mir vermisste Kiosk des Herrn Paulsen schon im Juni auf sie hingewiesen hatte).

Ihre Single "Kingstonlogic" ist schon ein wenig gewöhnungsbedürftig - der harte Elektrobeat ist nun gar nicht das, was man mit den Klischeebild von Jamaika und seiner Musik verbindet. Doch diese kompromisslosen geradeaus treibenden Beats und der großartig darauf gelegte Gesang haben meine anfängliche Skepsis schnell verschwinden lassen. Auch wenn mir längst nicht alles von Terry Lynn gefällt - "Kingstonlogic ist schon ein ziemlicher Killertrack, der mich schnell nicht mehr losgelassen hat - und das mit einer Musik, um die ich sonst eher einen weiten Bogen mache.....

Aber nicht nur mit ihren Beats räumt Mrs. Lynn gründlich mit den Klischees auf.Auch ihre Texte erzählen nicht von Love, Peace, Rastafara und Sunshine, sondern zeichnen ein ungeschminktes Bild von der Armut und der Gewalt auf Kingstons Strassen und deren Ursachen. Mehr davon!

Terry Lynn Homepage
Terry Lynn auf myspace

Neben ihrem Album hat Terry Lynn auch gemeinsam mit Johan Hugo von Radioclit eine EP mit dem Titel "It Was Written" produziert, die man hier immer noch kostenlos downloaden kann.