Kaum ein Sänger verbindet die Attribute Genie und Wahnsinn für mich so glaubwürdig wie der algerische Rai-Musiker Rachid Taha. Will man ihn live erleben, muss man sich darauf einstellen, einen Sänger auf der Bühne zu erleben, der schon einiges an Alkohol und bewußtseinserweiternden Drogen intus hat. Ich habe ihn im Abstand von 15 Jahren zweimal live erlebt - beide Male habe ich mich während des Konzerts ständig gefragt, ob ich die Leistung Tahas, ziemlich zugedröhnt das Konzert durchzuhalten, als eine herausragende Leistung oder dreiste Verarschung des Publikums ansehen sollte. Ich habe mich beide Male für die erste Alternative entschieden, weil Rachid Taha trotz reichlich wackeligen Beinen in der Lage war, seine Songs gekonnt zu präsentieren und eine gute Stimmung zu erzeugen.

Immer geht das aber nicht gut (siehe das Video von einem Konzert in Finnland, bei dem er vollkommen betrunken auf der Bühne liegt und von einem Roadie wieder hoch gehoben werden muss)

Andererseits war er (nüchtern) Protagonist des wohl bedeutendsten Live-Ereignisses im Bereich des Rai, als er 1998 gemeinsam mit Khaled und dem jungen Faudel in Paris-Bercy ein umjubeltes Konzert gab. Die Doppel-CD "1,2,3...soleil" gibt ein gutes Zeugnis dieser grandiosen Veranstaltung der "drei Tenöre des Rai" ab.

Rachid Taha ist unbestritten einer der vielseitigsten und innovativsten Musiker dieser arabischen Musikrichtung. 1958 in Algerien geboren, kommt er als Kind nach Frankreich. In Lyon gründet er die Band "Carte de Sejour", mit der er recht erfolgreich ist. Als musikalisches Aushängeschild der Bewegung "SOS-Racisme - Touche pas à mon pote !" prangern sie früh Rassismus und Diskriminierung in Frankreich an.

1989 löst sich die Band auf und Rachid Taha beginnt seine Solokarriere. Er arbeitet viel und gerne mit Steve Hillage zusammen, einem englischen Musiker und Produzenten, der sich nach seiner Zeit als Gitarrist der Hippie-Rock-Band "Gong" zunehmend mit elektronischen House und Techno-Beats beschäftigt. Als Folge der Zusammenarbeit entstehen mehrere Alben, in denen Taha den Rai mit Rock und Houseelementen verbindet und dem Genre neue Impulse verleiht. So covert er beispielsweise den alten Clash-Klassiker "Rock the Casbah" oder unterlegt den Song "Indie" mit pulsierenden House-Beats.

Dabei verliert er aber nicht den Bezug zu seinen Wurzeln und seine Musik verkommt nie zu folkloristisch angehauchten Technostücken, sondern der Rai ist immer die Basis und wichtigster Bestandteil seiner musikalischen Expeditionen. Ausdruck seiner Verwurzelung in alte algerische Musiktraditionen sind auch seine beiden "Diwan"-Alben, auf denen er alte Klassiker und uns weitestgehend unbekannte Lieder neu einspielt. Den Song "Ya Rayah" bringt er so beispielsweise zu neuem Glanz und Ruhm.

Jetzt ist mit "The Definitive Collection 2007" eine vorzügliche Compilation auf dem Markt, die das vielfältige Schaffen Rachid Tahas umfassend würdigt. Wer sich mit dem "Rebellen des Rai" musikalisch näher auseinandersetzen wil, für den ist diese Platte der ideale Einstieg. Zwar fehlen Lieder aus der zweiten Diwan-Platte, das trübt den positiven Gesamteindruck aber nur unwesentlich.

Fotos: retorta_net auf flickr

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