Sonntag, 14. September 2008
"Für traditionell eher kritische Zuschauer stellt sich dabei natürlich die Frage, weshalb man sich nun diese Schmonzette antun soll, wenn man um den gleichen Stoff, wäre er in Hollywood produziert, einen kilometerweiten Bogen machen würde. Exotenbonus? Kultureller Überheblichkeitsgestus gar? (...) Gründe aber, sich diesen Film anzusehen, gibt es aber genug: Zum einen ist "In guten wie in schweren Tagen" filmisch eine beachtenswerte Leistung und rundum vergnüglich inszeniert. Und zum anderen bietet er einen tiefen Einblick in eine fremde Filmkultur.“

epd Film Nr. 5/2003, Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik, Frankfurt a.M., S. 47 über den indischen Blockbuster-Film "Kabhi Khushi Kabhie Gham" (In guten wie in schweren Tagen)
via wikipedia



Charakteristisch an Bollywood-Filmen ist neben einer oft ziemlich kitschigen und dick aufgetragenen Handlung die Einbettung von oft mehreren Musik- und Tanzeinlagen. Oft sind dieses Einlagen nicht nur schmückendes Beiwerk, sondern wichtiger Bestandteil der Filmstory. In der Regel gibt "kleine" Tanzeinlagen der diversen Hauptdarsteller (klassisch: Mann und Frau gestehen sich tanzend ihre Liebe) und mindestens eine, oft auch mehrere Massentanzszenen, in denen sich die Hauptdarsteller gemeinsam mit unzähligen Komparsen bewegen.

Auf mich üben gerade diese Szenen einen rätselhaften Reiz aus. Rätselhaft, weil ich bis dato an Tanz keinen Gefallen finden konnte und Musicals etc. bis heute völlig überflüssig finde. Aber die Mischung aus Exotik, Akrobatik und Ästhetik nimmt mich bei indischen Filmepen des häufigeren gefangen.

Gerade die Szene des heutigen Videos hat es mir besonders angetan. Doch nicht nur mir - der dänische Reisseur Lars von Trier soll bei seinem Film Dancer in the Dark mit Björk und Catherine Deneuve in den Hauptrollen eben diese Filmszene als Vorbild für eine ähnliche Szene in seinem Film benutzt haben. Eine der wenigen Fälle, wo der Westen mal schamlos aus Bollywood geklaut hat. Doch diese Tanzszene taugt durchaus als Vorbild - eine originelle Verschmelzung von ungewöhnlicher Location und atemberaubende Kulisse - dazu eine gelungene tänzerische Umsetzung einer doch recht eingängigen archaischen Melodie - und hervorragend umgesetzt von zwei vorzüglichen Schauspielern.

Das Video stammt von dem Film Dil Se, der zwar ein typischer Bollywoodschinken ist, im Gegensatz zu anderen Filmen dieses Genres ein politisches Thema in seinem Film verarbeitet. Natürlich geht es auch hier wieder um die alte Geschichte Mann trifft Frau und verliebt sich, doch die Hindernisse, die sich dem Paar bei Dil Se in den Weg stellen, haben mal nichts mit Familie etc zu tun, sondern mit der schwierigen Geschichte Indiens - die Protagonistin ist eine Terroristin, die die Feiern zur indischen Unabhängigkeit sabotieren soll.......
Immerhin hat es der Film geschafft, von arte entdeckt zu werden - so konnte ich immerhin vor einigen Jahren den Anfang dieses Films im deutschen Fernsehen (ohne Werbeunterbrechungen) genießen - allerdings war ich damals auf 180 Minuten geballtes Gefühlskino nicht eingerichtet und bin bereits kurz nach der Zugszene eingeschlafen..........





Mittwoch, 10. September 2008
Man stelle sich vor, Roy Black und Peter Alexander hätten fast alle deutschen Filmsongs der letzten 35 Jahre eingespielt und es gäbe kaum Alternativen.... - unvorstellbar - in Deutschland, aber in Indien haben die Schwestern Lata Mangeshkar und Asha Bhosle über Jahrzehnte fast sämtliche weiblichen Stimmen in indischen Filmen übernommen. Und in Indien werden verdammt viele Filme gedreht und in fast jedem Film wird gesungen, was das Zeug hält - viel Arbeit für die beiden Marktführerinnen.

So haben die beiden inzwischen gesichert über 20.000 Filmsongs (genaue Zahlen sind nicht zu bekommen, Asha Bhosle hat nach eigenen Angaben etwa 16-17.000 - und Lata Mangeshkar zwischen 6.000 und über 25.000 - siehe wikipedia Fußnote 4) aufgenommen - und das in allen möglichen Genres, die in indischen Filmen in den letzten 50 Jahren vorgekommen sind.
Das heißt aber nicht, dass die beiden in Indien als Filmschauspielerinnen Karriere gemacht hätten. In Bollywood ist es Tradition und niemand stört sich daran, dass die SchauspielerInnen fast nie selber singen, sondern nur synchron die Lippen bewegen und spezielle Sänger und Sängerinnen den Gesangspart unerkannt im Hintergrund übernehmen. So kommt es auch, dass Asha Bhosle auch in hohem Alter mit ihrer hohen Stimme jungen unglücklich verliebten Damen als auch strengen besorgten Müttern ihre Stimme geben kann und nicht mit 35 Jahren schon zum "alten Eisen" gehörte.
In den letzten Jahren hat Asha Bhosle auch zunehmend Anerkennung außerhalb Bollywood bekommen, so sind diverse CD-Zusammenstellungen erschienen und das Kronos Quartett aus Polen hat mit ihr eine CD aufgenommen, die in hiesigen Breitengraden für gute Kritiken gesorgt hat. Die Anerkennung für die Arbeit von Asha Bhosle (und Lata Mangeshkar) hat sicherlich auch mit der zunehmenden Akzeptanz und Begeisterung für Bollywoodfilme in Europa zu tun - doch davon (über-)morgen mehr.

In der taz habe ich ein bereits älteres Interview mit Asha Bhosle gefunden, welches viel Interessantes über Bollywood und ihre Sängerinnen enthält.

Asha Bhosle ist vorgestern 75 Jahre alt geworden - auch wenn ich mit vielen Songs eher wenig anfangen kann, ist es schon ziemlich faszinierend, einer Sängerin zuzuhören, die jeden Tag drei, vier oder mehr Musiktitel live einzuspielt - und das seit über 50 Jahren.....Herzlichen Glückwunsch

Und weil die indische Musik schon etwas gewöhnungsbedürftig ist, hier ein eher untypischer (aber das ist dann doch wieder typisch, da in Indien alle Musikrichtungen in die Filme einfließen) Song, gemeinsam mit dem Schauspieler Sanjay Dutt (im Übrigen einer der umstrittensten Persönlichkeiten in Bollywood - siehe hier)

Foto: retorta_net auf flickr




Dienstag, 9. September 2008
Schöne-Töne heute mit einem ersten Ausflug in die Welt der Mixtapes:

The New Worck ist nach eigenen Angaben das erste professionelle Internetlabel für Mixtapes. In ca. eineinhalb Jahren haben sie inzwischen 181 Mixtapes diverser DJs gesammelt und zum kostenlosen Download zur Verfügung gestellt. Neben den üblichen Techno-, House- und Electromixes gibt es auch zusammenstellungen aus dem Bereich Reggae, Dub, World und Balkan.

Bei so viel Masse ist naturgemäß nicht alles klasse - einige Mixe wirken (zumindest beim ersten Durchhören) nicht besonders originell und sind bessere Aneinanderreihungen von thematisch zusammenpassenden Titeln - aber zu einem guten Mixtape gehört mehr.....

Doch es gibt auch einige Perlen zu entdecken. Insbesondere die Compilations des Balkan Hot Step Soundsystem sind sehr hörenswert - gute Soundauswahl, schöne Übergänge und eine ausgewogene Mischung zwischen Original und Remix. Typsy Gypsy & Sam Rabam sind zwei DJs aus Belgien und ihre 'Rio Loco Balkan Club Night'! enthält Titel von [Dunkelbunt], Amsterdam Klezmer Band, Watcha Clan, Balkan Beat Box, Leningrad und vielen anderen - ideal, um sich einen guten Überblick über das nun schon geraume Zeit grassierende Balkan-Fieber zu verschaffen.

Download Rio Loco Balkan Club Night

Balkan Hot Step Soundsystem auf myspace




Samstag, 6. September 2008
Nr. 26 mit einem ganz besonderen Schmankerl - das heutige Video stammt aus einer (Fernseh?-)Dokumentation aus dem Jahre 1976 über Reggae aus England. Unter anderem kommt da ein Sänger zu Wort, von dem ich (leider) nie vorher etwas gehört hatte: Roy Shirley Nach einigen gestellten Sequenzen in einem Plattenladen und Cafe gibt es dann eine Liveaufnahme zu sehen. Und die hat es in sich!!!

Wahnsinn, mit welcher Präsenz Roy Shirley diesen Song singt, scheinbar immer mehr mit dem Rhythmus eins wird und schließlich völlig ekstatisch rumflippt und schließlich auf dem Boden rumkriecht. Das ist ganz großes Kino mit einem begeisternden Soundtrack. Die Begleitband spielt sich nicht in den Vordergrund, obwohl z.B. mit Rico Rodriguez an der Posaune durchaus musikalische Schwergewichte bei dieser Aufnahme mitwirken. Absolut genial auch die unbekannte Keyboarderin, die aussieht, als käme sie direkt aus der Baptistengemeinde nebenan, aber mit ihren Fingern einen Groove erzeugt, der mich schier weghaut.
Nicht nur mich - wenn man die Reaktion des Publikums sieht, merkt man schnell, dass hier ein absolut magischer Moment in der Geschichte des frühen Reggae/Ska/Rocksteady eingefangen wurde. Da ist es auch nur bedingt ärgerlich, dass der Sprecher der Fernsehserie in den Song hineinquatscht, zumal die Stimme aus dem Off unverkennbar der große Linton Kwesi Johnson ist. Der Song heißt wohl "One, two, three" und ist leider komplett in Vergessenheit geraten und heute nirgendwo zu bekommen (zumindest habe ich nichts gefunden).

Leider ist Roy Shirley vor wenigen Wochen an einem Herzanfall verstorben. Obwohl er wahrscheinlich nur ausgewiesenen Kennern bekannt sein dürfte, hat er dennoch einen Platz in den Annalen der Musikgeschichte sicher. Sein Song "Hold them" gilt als das erste Rocksteady-Stück überhaupt - auch wenn er dieses Privileg mangels Eindeutigkeit mit einigen anderen Titeln und Interpreten teilen muss.

Roy Shirley Homepage
Roy Shirley auf myspace

Aquarius - Reggae Dokumentation Teil 1 (mit dem Roy Shirley-Ausschnitt) / Teil 2