Mittwoch, 23. Januar 2008
Kaum ein Sänger verbindet die Attribute Genie und Wahnsinn für mich so glaubwürdig wie der algerische Rai-Musiker Rachid Taha. Will man ihn live erleben, muss man sich darauf einstellen, einen Sänger auf der Bühne zu erleben, der schon einiges an Alkohol und bewußtseinserweiternden Drogen intus hat. Ich habe ihn im Abstand von 15 Jahren zweimal live erlebt - beide Male habe ich mich während des Konzerts ständig gefragt, ob ich die Leistung Tahas, ziemlich zugedröhnt das Konzert durchzuhalten, als eine herausragende Leistung oder dreiste Verarschung des Publikums ansehen sollte. Ich habe mich beide Male für die erste Alternative entschieden, weil Rachid Taha trotz reichlich wackeligen Beinen in der Lage war, seine Songs gekonnt zu präsentieren und eine gute Stimmung zu erzeugen.

Immer geht das aber nicht gut (siehe das Video von einem Konzert in Finnland, bei dem er vollkommen betrunken auf der Bühne liegt und von einem Roadie wieder hoch gehoben werden muss)

Andererseits war er (nüchtern) Protagonist des wohl bedeutendsten Live-Ereignisses im Bereich des Rai, als er 1998 gemeinsam mit Khaled und dem jungen Faudel in Paris-Bercy ein umjubeltes Konzert gab. Die Doppel-CD "1,2,3...soleil" gibt ein gutes Zeugnis dieser grandiosen Veranstaltung der "drei Tenöre des Rai" ab.

Rachid Taha ist unbestritten einer der vielseitigsten und innovativsten Musiker dieser arabischen Musikrichtung. 1958 in Algerien geboren, kommt er als Kind nach Frankreich. In Lyon gründet er die Band "Carte de Sejour", mit der er recht erfolgreich ist. Als musikalisches Aushängeschild der Bewegung "SOS-Racisme - Touche pas à mon pote !" prangern sie früh Rassismus und Diskriminierung in Frankreich an.

1989 löst sich die Band auf und Rachid Taha beginnt seine Solokarriere. Er arbeitet viel und gerne mit Steve Hillage zusammen, einem englischen Musiker und Produzenten, der sich nach seiner Zeit als Gitarrist der Hippie-Rock-Band "Gong" zunehmend mit elektronischen House und Techno-Beats beschäftigt. Als Folge der Zusammenarbeit entstehen mehrere Alben, in denen Taha den Rai mit Rock und Houseelementen verbindet und dem Genre neue Impulse verleiht. So covert er beispielsweise den alten Clash-Klassiker "Rock the Casbah" oder unterlegt den Song "Indie" mit pulsierenden House-Beats.

Dabei verliert er aber nicht den Bezug zu seinen Wurzeln und seine Musik verkommt nie zu folkloristisch angehauchten Technostücken, sondern der Rai ist immer die Basis und wichtigster Bestandteil seiner musikalischen Expeditionen. Ausdruck seiner Verwurzelung in alte algerische Musiktraditionen sind auch seine beiden "Diwan"-Alben, auf denen er alte Klassiker und uns weitestgehend unbekannte Lieder neu einspielt. Den Song "Ya Rayah" bringt er so beispielsweise zu neuem Glanz und Ruhm.

Jetzt ist mit "The Definitive Collection 2007" eine vorzügliche Compilation auf dem Markt, die das vielfältige Schaffen Rachid Tahas umfassend würdigt. Wer sich mit dem "Rebellen des Rai" musikalisch näher auseinandersetzen wil, für den ist diese Platte der ideale Einstieg. Zwar fehlen Lieder aus der zweiten Diwan-Platte, das trübt den positiven Gesamteindruck aber nur unwesentlich.

Fotos: retorta_net auf flickr

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Montag, 21. Januar 2008
Dass mich Andy Palacio mit seinen Tönen beim ersten Kontakt nachhaltig beeindruckt hätte, kann ich beim besten Willen nicht behaupten.
Das erste Mal hörte ich einige kurze Samples im April letzten Jahres auf der WMCE -Seite, als der mir bis dahin völlig unbekannte Sänger aus Belize auf Anhieb auf Platz 5 der World Music Charts notiert war. Ich erinnere mich noch, dass ich erleichtert war, keine 45. Ausgabe der Afro Cuban All Stars- "Nachahmer" zu hören, sondern eine eigenständige Musik, die auf geschickte Weise afrikanische und karibische Rhythmen miteinander verband. Das hörte sich ganz nett an, war mir aber eigentlich viel zu folkloristisch. Viel faszinierender fand ich die Geschichten, die sich um Andy Palacio reihten. Z.B. die Geschichte von den zwei Sklavenschiffen, die an der Küste der Karibikinsel St. Vincent strandeten und den Beginn der Garifuna-Kultur begründeten. Oder die Geschichte von dem alten Mann in Nicaragua, den Andy Palacio als junger Mann traf und der davon überzeugt war, der letzte zu sein, der die Garifuna-Sprache noch sprechen könnte und der dann ganz erstaunt und erfreut war, als ihn der Junge aus Belize in eben dieser Sprache begrüßte.

Erst viel später ergab sich die Möglichkeit, das Album "Watina" in Ruhe durchzuhören. Und irgendwann machte es dann 'klick' und die Musik hatte mich infiziert. Diese unaufgeregte Stimme, die relaxte Instrumentierung und die ungewöhnliche Mischung eigentlich bekannter Stile faszinierten mit jedem Hören mehr. Zu der entspannten Stimmung, die die Musik erzeugt, passen die Bedingungen, unter denen die CD entstanden ist. Palacio traf sich den Presseberichten nach nämlich mit seinen Musikern in einer Strandhütte in Belize, um die Platte einzuspielen.

Die Platte war die positive Überraschung im vergangenen Jahr in der Weltmusikszene. Sie belegte in allen mir bekannten Jahrescharts und Bestenlisten einen der vordersten Plätzen (Global Rhythm, Songlines, fRoots, National Geographic's online music magazine, WMCE etc.). Andy Palacio erhielt den letztjährigen WOMEX-Preis und wurde in Anerkennung seiner Verdienste um die Erhaltung der Garifuna-Kultur Friedensbotschafter der UNESCO.

Am Samstag ist Andy Palacio im Alter von 48 Jahren an den Folgen eines schweren Hirnschlags und Herzinfarkts gestorben sei. erschüttert. Sein Engagement für den Erhalt der Garifuna-Kultur müssen nun andere übernehmen. .....

R.I.P.

Foto: CultrVultr auf flickr

Andy Palacio auf myspace
Ein weitere Nachruf findet sich hier




"All dies findet in einer Welt statt, die weiß, was geschieht, dabei aber schweigt und nicht viel mehr tut, als dieses bedauerliche Theater anzuschauen"

Der für den arabischen Fernsehsender al-Dschasira tätige Journalist Sami Al-Hadsch in einem Brief über die Zustände in Guantanamo. Er ist seit Juni 2002 in Guantanamo inhaftiert, aber es gibt immer noch keine offizielle Anklage gegen ihn. Seit über einem Jahr befindet er sich in einem Hungerstreik und wird von den amerikanischen Militärs zwangsernährt.

Aus der taz vom 18.01.07



Montag, 21. Januar 2008
"As a proud Garifuna...someone who instills pride in Garifuna and raises their self-esteem. To me, that's the most important thing."

Andy Palacio auf die Frage, wie man sich an ihn erinnern sollte, wenn er tot sei.

Andy Palacio starb vorgestern im Alter von 38 Jahren.



Irgendwie scheint der diesjährige Januar der Monat meiner Vergangenheitsbewältigung zu werden.

Zuerst erlebe ich eine "Enttäuschung" beim Hören des Best-of -Album von Gianna Nannini (siehe hier). Dann besorge ich mir die "World Hits" Compilation von Putumayo und stelle mit Erschrecken fest, dass es inzwischen auch die Sparte der Weltmusik-Oldies zu geben scheint (davon später mehr).

Und schließlich erlebe ich mit dem letzten Album des Berliner Reggaemusikers PR Kantate eine weitere Reise in meine musikalische Jugend. Der Plattenreiter (daher das PR im Namen) hat sich einige "Perlen" der neuen deutschen Welle und des Eighties Pop ausgesucht und sie mit Reggae- und Dancehallrhythmen und teilweise auch mit neuen Texten versehen. So wird aus Rio Reisers "Konig von Deutschland" der "König von Kreuzberg" und der wunderbar-gruselige Umweltsong "Karl der Käfer" von Gänsehaut" (siehe hier) wird mit leicht verändertem Text zur abgedrehten THC-Hymne "Karl der Kiffer". Aber auch die textlich nahezu unverändert gelassenen Coverversionen haben ein gewaltiges Lifting über sich ergehen lassen müssen. "Blueprint" von den Rainbirds wird zu einem groovenden Afro-Beat, Trios "Da da da" bekommt einen Calypso-Rhythmus und auch der Drachen von den Puhdys wird mit einer völlig neuen musikalischen Begleitung steigen gelassen. Die Krönung ist aber der Song "U Me Heart" - eine lässig relaxte Version des Modern-Talking-Klassikers "You're my Heart". Neben diversen weiteren gecoverten Songs (Blaue Augen / Safety Dance als Acoustic Reggae-Version mit Blockflöte, etc) gibt es noch einige eigene Songs, die aber wie "In Balin" oder "Görli,Görli" auch schon älteren Datums sind und sich musikalisch nahtlos in die Coverversionen einfügen.

PR Kantate bringt das Kunststück fertig, aus schlechten (Modern Talking!!) oder eigentlich ausgelutschten Klassikern der Achtziger Jahre wieder kleine Juwelen zu machen. Auch wenn sich beim Hören der gesamten CD nach einiger Zeit eine gewisse Ermüdungseffekt einstellt, ist fast jeder Song für sich alleine genommen absolut hörenswert und eine wunderbare Alternative zur immer mehr nervenden NDW-Revival-Welle.

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Freitag, 18. Januar 2008
"Als Geschmacklosigkeit des Jahres fielen die "Seeed"-Klone von Culcha Candela besonders unangenehm auf. Die Reggaeclowns aus Berlin setzten voll auf die Partyprollschiene und machten damit vor allem bei Sportstudenten und besoffenen Verbindungshonks gehoerig Punkte... "

Auch The Midi Mechanics findet wenig Gefallen am letzten Machwerk von Culcha Candela