Wenn ich die spärlichen Hinweise im Internet mit meinen noch spärlicheren Französisch-Kenntnissen richtig verstanden habe, dann handelt es sich bei Origines Contrôlées eigentlich um ein Kulturfestival in Toulouse. Seit 2004 findet es jährlich statt und thematisiert die politischen und kulturellen Bedingungen, unter denen die (überwiegend maghrebinischen) Einwanderer leben. Organsiert wird das Festival vom Tactikollectif - einer Gruppe in Toulouse aus dem Umfeld der legendären Zebda.

Zebda ist wohl die französische Band, welche am stärksten den Gedanken des Mestizo auf französische Verhältnisse übertragen hat und mit ihrer Fusion aus Rock, HipHop, algerischer und kabylischer Musik und starkem politischen Engagement wegweisend für viele Bands (auch in Spanien) waren. Leider machen sie als Gruppe seit 2003 eine schöpferische Pause und die Mitglieder der Band widmen sich diversen Soloprojekten. Niemand (ausser die Band selber) weiß, ob es irgendwann einmal eine Fortsetzung der Band Zebda geben wird. Das Beispiel von Massilia Sound System, die nach einer dreijährigen Pause und diversen Soloalben in diesem Jahr eine neue (wirklich gute) Platte herausgebracht haben, zeigt zumindest, dass es nicht völlig ausgeschlossen ist.

Doch Zebda war immer schon mehr als die Band Zebda - die Mitglieder verstanden sich immer auch als Teil eines Projektes, welches künstlerisch und politisch neue Wege gehen wollte. So beteiligte man sich maßgebend an der Toulouser Bürgerbewegung "Motive-e-s", die bei den Kommunalwahlen 2001 im ersten Wahlgang erstaunliche 12,4 % erreichte und mit ihrer Mischung aus Politik, Kunst und Musik eine neue Art von politischem Handeln zu kreieren versuchte (siehe hier).

Auch musikalisch war man kreativ: Unter dem Titel "Motivés. chants de lutte" brachte das "Tactikollectif" eine Platte heraus, auf der man alte Revolutions- und Freiheitslieder wie "Hasta siempre Che Guevara", "Bandiera rossa" oder " Le chant des partisans" neu interpretierte und mit überwiegend akustischen Instrumenten einspielte. Die musikalisch tragende Rolle übernimmt das Akkordeon, welches den Sound sehr französisch macht und dem ganzen einen beschwingten Charakter beschert.
Ähnlich funktionieren die beiden Alben des Projekts "100 % Collegues", die dank ihrer eingängigen Rhythmen und des sich automatisch einstellenden Mitsummeffekts höchst interessante und hervorragende Produktionen geworden sind.

Und dann organisiert man seit vier Jahren eben das oben genannte Festival - und in diesem Jahr veröffentlicht man für das Festival eine CD namens "Origines Contrôlées" - ein Album, welches Cover-Versionen alter algerischer Schlager enthält. Gesungen werden die Lieder von den Brüdern Mustapha und Hakim Amokrane, die bereits bei Zebda gemeinsam mit Magyd Cherfi (Rezension seines letzten Albums hier) für den Gesang zuständig waren und vor zwei Jahren unter dem Namen "Mouss et Hakim" eine Platte (Ou le contraire..) veröfentlicht haben. Grundlage der neuen Platte sind alte Stücke aus den 40er - 70er Jahrenvon Interpreten, die bei den in Frankreich lebenden Algeriern Superstars waren, aber im übrigen Frankreich unbeachtet blieben.

Mit dem Aufspüren und Neuinterpretieren älterer algerischer Lieder und dem Sich-Auseinandersetzen mit den eigenen Wurzeln hat sich bereits Rachid Taha beschäftigt - seine Alben Diwan und Diwan2 interpretieren ebenfalls maghrebinische "Schlager" aus den fünfziger und sechziger Jahren - und doch könnten beide Projekte nicht unterschiedlicher sein.

Das liegt in erster Linie an der schon von den "100% Collegues" und "Motivés" bekannten musikalischen Muster der Platte von "Origines Contrôlées". Dank des Akkordeons bekommen die Stücke einen starken französischen Touch - so entsteht eine ganz einzigartige, schwer zu beschreibende Mischung aus Chanson und algerischem Schlager - doch immer aüßerst melodisch und rhythmisch.

Besonders deutlich wird dies an zwei Titeln des Algeriers Mohamed Mazouni - das Stück "Écoute moi camarade" wird von Rachid Taha auf der CD "Diwan2" interpretiert. Hier sind die arabischen Elemente des Song deutlich zu hören und werden mittels Streichorchester noch unterstützt. Im Video sieht man einen Nordafrikaner, der - egal wie er sich müht - von den Franzosen Französinnen niemals akzeptiert wird.
Im Gegensatz dazu der Song "Adieu la France", den sich Origines Contrôlées vorgenommen haben - die Mischung aus nordafrikanischen und französischen Tönen hat sich deutlich in Richtung Frankreich verschoben und man spürt, dass die Interpreten, die diesen Song singen, längst in Frankreich angekommen sind und mit Stolz auf ihre nordafrikanischen Wurzeln ihren Platz in der Gesellschaft einfordern.

Origines Contrôlées ist eine höchst unterhaltsame Platte eines faszinierenden Projekts (und ich bedaure ein weiteres Mal meine mangelhaften Französischkenntnisse...)

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